view over Kalkutta seen from my favourite restaurant the Blue and Beyond
Es war ein guter Tag heute! Ich bin mindestens 15 Kilometer durch Kalkutta maschiert und hab mir vieles angeschaut. Seit 3 Tagen bin ich nun in der westbengalischen Hauptstadt und muss mich nach der suedostasiatischen Gelassenheit erst mal wieder an das Gewusel und die Geschaeftstuechtigkeit des Subkontinents gewoehnen. Ich trank wie immer zum Sonnenuntergang ein Kingfisher im Blue & Beyond Rooftop Restaurant. Von hier oben hatte man die beste Sicht auf die Downtown des ehemaligen British Empire. Nach einer Weile setzte sich ein 38 jaehriger frankokanadischer Fotograf an meinen Tisch. Er hatte Glueck! Er war einer der wenigen der Auftraege hatte. Er knippste fuer verschiedene Airlines und Magazine und schien von seiner Passion gut leben zu koennen. Immerhin residierte er in Tokio, nicht unbedingt das billigste Pflaster auf dieser Welt. Das war endlich mal wieder eine kommunikative Abwechslung nach dem ueblichen Travellergequatsche on the road.
Schon seit geraumer Zeit meide ich die typischen Travellerabsteigen. Es ist wie bei einer Schallplatte die man zu oft gehoert hat! Vor kurzem lernte ich eine Dame aus Trier in der Geckobar in Bangkok kennen. Sie schien in der Regel von Hartz 4 zu leben. Zumindest hatte ich den Eindruck, dass sie sich in der Materie gut auskannte. Sie fuehlte sich aber unfrei. Das Arbeitsamt verlangte ihrer Meinung nach zuviele Auflagen. Und auch die ganzen Meldetermine waren ihr einfach zu laestig fuer die paar Euros! Sie hatte einen neuen Plan um der deutschen Buerokratie zu entgehen, den sie mir mit aller Ueberzeugung und voller Leidenschaft schilderte. Sie wollte in die reiche Schweiz emigrieren um dort eine zeitlang Heroin zu konsumieren. Sie hatte gehoert sobald das Gift von den Aerzten im Blut nachgewiesen werden kann und nach einigen Therapien usf., wuerde sie ohne weiteres trotz ihres noch zarten Alters von 29 Jahren fruehverrentet werden. Und das zu einem guten Kurs, wovon es sich weit aus besser leben leasst als vom scheiss Hartz 4. Ich war etwas skeptisch, aber ein aelterer Schweizer sass noch am Tisch und meinte es waere tatsaechlich so. Auch wenn wahrscheinlich nicht ganz so einfach wie die Dame aus Trier es sich erhoffte.
Waehrend sie so weiter vor sich hin fasselte fuehlte ich mich an einen guten alten Freund aus meiner Heimat erinnert. Er hatte manchmal aehnliche Zukunftsperspektiven, wenn er in erhabener Pose etwas selbstgefaellig mit einer zerknautschten Selbstgedrehten im Mundwinkel auf seinem alten Rokokostuhl trohnte. Nach so einem Schwall Unvernunft lachte er dann in der Regel lauthals und hysterisch – um ganz bewusst und gezielt mein duennes Blut zum Kochen zu bringen!
Kalkutta ist immer noch eine aufregende Metropole. Eine die mich immer wieder von neuem tief beeindruckt und fasziniert. Im Grunde genommen hat sich waehrend meiner 5 jaehrigen Abwesenheit wenig veraendert. Ausser das sie leider die ganzen Kopfsteinpflaster asphaltiert haben, was der Stadt einiges an Atmosphaere geraubt hat. Aber der gute alte Ambassador ist immer noch ueberall praesent und veredelt mit seiner bulligen Karosserie das Strassenbild. Nach dem dritten Bier bin ich dann rueber ins Internetcafe spaziert um die neusten Bundesligaergebnisse abzurufen. Die Bayern hatten beim Schlusslicht Cottbus mit 2:0 verloren und der HSV konnte mit einem knappen 1:0 gegen Dolls‘ Dortmunder drei Punkte einfahren. Das hat dem ausklingenden Tag dann noch weiteren Auftrieb gegeben.
Als ich dann die Seite von Spiegel online verlassen wollte, stiess ich noch auf einen schoenen Text mit dem provokanten Titel: „Das Ende des Arschgeweihs“, dass dem ausklingenden Tag dann harmonisch abrundete. Und schon aus Prinzip darf ich den Text niemanden vorenthalten. Ich weiss meine Aversion gegen Tattoos geht wahrscheinlich dem einen oder anderen schon auf den Sack?! Aber wie Sigmund Freud in seiner metapsychologischen Schrift „Das Ich und das Es“ bereits feststellte, wer sich mit seinen Psychosen nicht ernsthaft auseinandersetzt wird ewig daran leiden. Insofern ist der folgende Weiterveroeffentlichung des Textes nur ein erneuter Versuch meine Krankheit in den Griff zu bekommen! Und wir wollen doch alle Gesundheit – oder?! Damit soll dann auch das Thema Tattoos entgueltig abgeschlossen sein. Und ich werde mich in diesem Sinne bereits in naher Zukunft mit wesentlich humanistischeren Ideen beschaeftigen, wie z.B. ‚Warum israelische Traveller so unbeliebt in Indien als auch im restlichen Asien und unter den anderen Touristen sind‘; oder ‚Warum die meisten Englischlehrer in Suedostasien Alkoholiker sind!‘ (Stefan du bist damit natuerlich nicht gemeint).
O.K. nun zum angekuendigten Text der zwar recht amuesant ist, aber aus meiner Sicht fuer Spiegel online einige Formulierungsschwaechen besitzt – die ich aber bereits ausgebuegelt habe. Ich hoffe der Autor verzeiht es mir?: Anyway hier das „Ende des Arschgeweihs“: Ich bin gewöhnlich. Ich habe Angst vor der Klimakatastrophe, aber fliege in den Urlaub. Ich mag Fußball, aber hasse es, wenn schlecht gespielt wird. Ich sehe mir RTL-Shows an, aber meckere am nächsten Tag über die Idioten im Fernsehen. Ich kaufe Öko-Produkte, aber ich esse gerne Fleisch. Ich gehe wählen und überlege andauernd, ob ich es lassen sollte. Ich habe eine Geldanlage, die so beständig an Wert verliert, dass es ein Jammer ist. Ich bin tätowiert und damit so wenig individuell, dass es knallt.
Und hier beginnt das Problem: Was soll man denn bloß über Tätowieren schreiben? Es ist doch so normal, so unendlich unspektakulär. Irgendwann traf ich mal einen Menschen in einem Club namens Ausweg, der sagte: „Soll ich dir mal meinen gepiercten Penis zeigen?“ Rammstein sangen im Hintergrund „Du riechst so gut“ und obwohl das thematisch vielleicht gepasst hätte, lehnte ich ab. Der Mensch war beleidigt. Zugegeben, diese kleine Anekdote hat nicht wirklich was mit Tattoos zu tun, aber immerhin firmieren Piercings und Tattoos in der öffentlichen Wahrnehmung ungefähr in derselben Ecke. Was noch? Ich habe mir einen Indianer tätowieren lassen, ein Motiv aus dem fantastischen Buch „Begrabt mein Herz an der Biegung des Flusses“, weil ich immer schon für die Schwachen war. Außerdem war das gerade ziemlich modern damals. Die Red Hot Chili Peppers hatten 1991 „Blood Sugar Sex Magik“ veröffentlicht und jeder von ihnen hatte auf den Bildern im dazugehörigen Booklet irgendetwas Indianisches tätowiert. Weil ich die Band seit 1985 gut finde – da wurde „Freaky Styley“ veröffentlicht -, hat mir das die Entscheidung für ein Tattoo leicht gemacht. (Nebenbei: „One Hot Minute“ ist komplett unterbewertet, auch von der Band selber. Grandioses Album!).
Der Laden, in dem ich mich tätowieren lies, war direkt neben dem Hauptbahnhof, konnte nur durch eine schwere Eisentür mit einem kleinen, runden Kuckloch betreten werden und der Tätowierer sah aus wie Rick Rubin, der großartige Musik-Produzent, der widerrum aussieht wie ein Hells Angel, war es aber leider nicht. Als Motive bot er mir nackte Frauen an, die auf Werwölfen ritten und Totenköpfe, die Zombies verspeisten(!). Zu meinem Indianer fiel ihm nichts ein außer: „Was hast du denn da für einen Scheiß?“ Der Laden war ziemlich dreckig, ich habe danach einen AIDS-Test gemacht. Unnötig zu erwähnen, dass das Bild besser hätte umgesetzt werden können. Ich erinnere mich zwar an eine Szene, als ich am örtlichen Baggersee lag und eine Klassenkameradin staunend meinen Oberarm bewunderte, aber eigentlich war Tätowieren 1991 schon nichts besonders mehr. Tätowieren – so spannend wie auf‘ Klo gehen Und es ist ja sogar noch schlimmer geworden: Mittlerweile ist Tätowieren ähnlich spannend wie ein Besuch auf dem Klo und so unspektakulär wie Nase putzen.
Ich will das um Gottes willen nicht verurteilen, ich gehöre ja selbst zu den elf Prozent aller Deutschen, die laut einer Umfrage des Offenbacher Meinungsforschungsinstituts Marplan tätowiert sind. Zwar ist das Arschgeweih tendenziell eher in den unteren Einkommensschichten beliebt, die meisten Tattoo-Träger gehören aber laut Studie zu den Besserverdienenden, die das nur machen, um sich ein bisschen rebellisch zu fühlen. Rebellion hatte aber selten was mit Tätowierungen zu tun. Das ist spätestens klar, wenn man einen Blick auf die Geschichte der Hautbilder wirft. Woher die Tätowierung kommt, weiß allerdings keiner so genau. Sie hat sich wahrscheinlich parallel in verschiedenen Regionen der Welt entwickelt und ist fast so alt wie die Menschheit selber: Schon der 1991 gefundene, knapp 5300 Jahre alte Steinzeitmann „Ötzi“ hat Tätowierungen – knapp fünfzig Stück. Bei ihm hatten die Tattoos aber scheinbar eher therapeutische Zwecke. Einer Akupunktur ähnlich hat er an Stellen, die besonders beansprucht waren, wie Knie und untere Wirbelsäule, Tätowierungen, die sich motivmäßig in simplen, geraden Linien erschöpfen. Tattoos als Mittel gegen Gelenkverschleiß – weniger Rebellion geht ja wohl kaum. Hautbilder für die Fortpflanzung Eher skurril als rockig sind die Gründe bei den Nubiern, 2000 vor Christus: Sie stachen sich Tattoos, um die Fortpflanzungsfähigkeit der Verstorbenen im Jenseits zu sichern. Und beinahe spießig kommen die Inuit daher. Sie nähten sich bunte Fäden unter die Haut, um die Zugehörigkeit zwischen Mann und Frau zu verdeutlichen. In Europa wäre Tätowieren ohne James Cook aus England nicht vorstellbar, hatte er doch auf seinen Fahrten nach Polynesien einen tätowierten Bewohner namens Omai von dort mitgebracht und ihn 1775 in London ausgestellt. Cook brachte auch die Bezeichnung mit: Den tahitianischen Ausdruck Tatu, der vermutlich entstand, weil sich das Schlagen auf den in Polynesien üblichen Tätowierkamm so ähnlich anhörte. Ausgehend von den Seeleuten bildeten sich dann auch erste Tätowierzentren in den Hafenstädten. Matrosen sammelten nun von Hafen zu Hafen neue Tattoos. Und auch wenn das Tätowieren vorwiegend auf diesen Berufstand mit eher negativem Image beschränkt war, durchdrangen die bunten Hautbilder die Gesellschaft immer tiefer. Sogar unter Adligen wurde es im Zuge der französischen Revolution in den europäischen Herrschaftshäusern recht populär, sich die wie auch immer gelagerten Sympathien in die Haut zu stechen. Hippies, Werber, alte Römer Während Tätowieren in Europa also zunehmend durch alle gesellschaftlichen Schichten wanderte, langsam zwar, aber immerhin, wurde es überall dort, wo Europäer in Übersee tätig waren, verboten.
Die christlichen Missionen stuften die Körperbilder als heidnisches Teufelszeug ein. Die Missionare waren diesbezüglich allerdings schlecht informiert, galt doch das schicke Handgelenktattoo mit einem Fisch, einem Kreuz oder einem Lamm im alten Rom als Erkennungszeichen für eine neue In-Group namens Christen. Wen wundert’s, Jesus sah ja auch aus wie ein Hippie. Apropos: Besonders Hippies und Biker kamen in den sechziger und siebziger Jahren auf den Geschmack – und verpassten den Tattoos das Image, das sie heute nur noch bei Werbern und anderen Besserverdienern genießen. Wer Zeit hat, kann’s ihnen von mir aus übelnehmen. Unstrittig saublöd ist allerdings folgendes: Seit drei Jahren schenkt der Reifenhersteller Dunlop in den USA jedem ein kostenloses Reifenpaket, der sich das Firmenlogo auf den Körper tätowieren lässt. Der Erfolg ist allerdings übersichtlich: 98 Leute haben sich bis jetzt dazu bereit erklärt. von Philipp Kohlhoefer