Seit einigen Tagen verweilte ich nun schon in Bole, einer der vornehmeren Gegenden in Äthiopiens hochgelegener Hauptstadt. Merken tut man davon, außer am gehobenen Preisniveau, nur wenig. Müll, Schlaglöcher, auf brüchigen Bürgersteigen herumliegende schwer betrunkene Männer, kläffende Hunde, dubiose Gestalten, die an jeder Ecke nach einem Geschäft wittern. Eine völlig verwahrloste Infrastruktur, 12 Stunden am Tag ohne Stromversorgung und notorischer Wassermangel. Addis Abeba hat sich nicht verändert. Es ist immer noch das gleiche, wenn auch nicht uninteressante, Drecksloch wie vor 10 Jahren, als ich das erste Mal dieses Land bereiste. Aber als geübter, halbwegs gebildeter Reisender, zog ich natürlich trotzdem genügend Befriedigung aus meinen Beobachtungen, um mich nicht zu langweilen. Ich wartete auf meinen Flug nach Madagaskar. Um noch aufwendig durchs Land zu reisen, sind die paar Tage Aufenthalt zu wenig, Es war mir auch einfach zu anstrengend. Äthiopien war nichts für schwache Nerven, das musste ich schnell wieder feststellen.
Kühl ist es. Die kalten Monate. Nachts manchmal um die 10 Grad mit einer unangenehmen, in die Knochen gehenden Feuchtigkeit. Nichts für Rheumatiker. Vor Kurzem gab es in der Welt einen Aufsatz von Dirk Schümer, einer der letzten guten, nicht komplett links verdrehten Schreiberlinge in Deutschland, mit dem Titel „Overtourism – Die Epoche der Globetrottel“. Hier in Addis sind sie noch nicht angekommen. Kaum Touristen vor Ort. Globetrottel schon gar nicht, die fahren lieber nach Südostasien.
Ein Amerikaner mit koreanischen Wurzeln, der sich, seit sie ihm sein Handy klauen wollten, von den Einheimischen, man könnte sagen beinahe paranoid, verfolgt fühlt, wohnt auch im Abyssinia Guesthouse. Er wurde vermögend durch einen Startup während der New Economy. Jetzt reiste er nur noch. War zum ersten Mal in Afrika. Wollte nach Uganda , um einen Silberrücken für 800 Dollar aus der zu Nähe sehen. In Ruanda, das zweite Land mit noch einer kleinen Gorilla-Population, sei es mittlerweile unbezahlbar geworden. Gorillawatching in Zentralafrika kommt bei den Globetrotteln gleich nach in der Schlange stehen am Everestgipfel. Ansonsten residieren in meinem 25 Dollar Hotel, in welchem jeder Wasserhahn wackelt und jede Steckdose an seinen Drähten aus der Wand hängt, kleinere sudanesische und äthiopische Geschäftsleute, sowie ein älterer Somalier aus Mogadischu. Der ist schon seit Wochen hier. Jeden Abend sitzt er ketterauchend an dem kleinen wackligen Tisch vor dem Eingang mit einer Flasche Johnny Walker Red Label vor sich und erzählt mir spannende Horrorgeschichten aus Mogadischu. Er hatte von seinem Vater 2 gut laufende Bürokomplexe im Zentrum von Mogadischu geerbt, die an Hilfsorganisationen vermietet sind und ihm einen netten Lifestyle erlaubten. Ansonsten lebt man in Mogadischu nur, wenn man wirklich muss, so Achmed, deswegen sei er so oft hier. Ethiopian Airlines flog mehrmals wöchentlich von Addis nach Mogadischu. Eine der wenigen internationalen Flugverbindungen nach Somalia.
Wenn man in Addis einen Europäer zu Gesicht bekam, waren es meist NGOler, UNESCO, UN, Unicef oder was auch immer für Hilfsorganisations-Mitarbeiter. Viele dieser Einrichtungen hatten hier ihren Hauptsitz. Nicht zuletzt weil Äthiopien als halbwegs stabiles afrikanisches Land gilt. Selbst wenn man mal mit einem Einheimischen in einem der schicken Cafés von Addis ins Gespräch kam, war es in der Regel ein Mitarbeiter einer dieser aufgeblähten pseudohumanistischen Einrichtungen, die oft mehr Schaden als Nutzen erzeugten. Letztlich ging es fast nur ums Geld. Ein Job hier war wie eine Bank. Man fuhr teure SUVs und wohnte in netten bewachten Villen, in sogenannten ‚Gated communities‘. Erinnerte ein bisschen an Brüssel, man hatte sich festgesetzt an den Pfründen, bediente den Zeitgeist. Ergebnisse wurden nicht hinterfragt. Wer die richtigen Kontakte hatte, konnte mit einer üppig gesponserten NGO zum Millionär werden – auf Kosten der Steuerzahler. NGOs waren leider meist nichts anderes als Business.
Die nervigen Trickster in Addis waren auch immer noch allgegenwärtig. Das hatte sich nicht geändert. Leicht verdientes Geld mit gutgläubigen politisch korrekten Westlern. Ständig wurde man angesprochen: “Hey ich bin‘s John, aus deinem Hotel. Du erinnerst dich doch an mich?“ Oder: “Hallo, ich bin es, der Taxifahrer, der dich vom Airport zu deinem Hotel gefahren hat. Ziel war es das Vertrauen des Opfers zu gewinnen, bevor eine Einladung oder ein dubioser Deal vorgeschlagen wurde. Einmal hieß es, ganz in der Nähe gäbe es eine Kirche. Dahinter sollte es ein angeschlossenes Restaurant geben, in welchem normale Äthiopierinnen europäische Männer kennenlernen wollen. Um auf so was zu kommen, brauchte es schon Fantasie, dachte ich. Für ein Bier würde man mir den Weg dorthin zeigen.
Dennoch, hier im besseren Bole waren sie nicht ganz so hartnäckig wie die Rastaas vor 10 Jahren an der Piazza, dem alten Stadtteil Addis Abebas, in welchem ich damals wohnte. Diese Dreadlocks in ihren Bob Marley T-Shirts konnten richtig aggressiv werden, wenn man ihre seltsamen Dienste nicht in Anspruch nehmen wollte. Einmal wollten sie mir sogar ans Leder. Man warf mir vor, ich würde schlecht über sie reden und andere Touristen vor ihnen warnen. Seit ich im Viertel wäre, seien die Geschäfte massiv runtergegangen. Ich solle bloß aufpassen!
Seit kurz nach meiner Ankunft vor 5 Tagen gibt es kein Internet mehr in Addis. Man hat es abgeschaltet. Landesweit! Einige ranghohe Politiker wurde im Norden des Landes von einem regierungsfeindlichen Stamm hingerichtet, so erzählten es mir verschiedene Quellen. Daraufhin hat die Regierung einfach das Netz abgeschaltet. Den Sinn dahinter kann ich nicht verstehen. Selbst wichtige Institutionen wie Ethiopian Airlines, immerhin die größte Airline Afrikas, haben keinen Zugriff, sagte man mir gestern im Hauptoffice an der Edna Mall, als ich meine Sitzplätze nach Madagaskar reservierte. Eine Woche ohne Internet, das ist schon eine nette Erfahrung. Tat vielleicht auch mal ganz gut?! Hatte ich das letzte Mal im April 2015, während des Erdbebens in Nepal.
Vor 2 Wochen hatte man übrigens schon mal für einige Tage das Internet abgeschaltet. Angeblich, weil äthiopische Studenten bei ihren Abschlussarbeiten geschummelt haben. Andere Länder andere Sitten. Nun ja, heute werden die guten Männer beerdigt. Die aufwendige Prozession, mit viel Militär, Marschmusik und Reitereskorte wird schon den ganzen Morgen auf allen äthiopischen Fernsehkanälen übertragen. Man hofft, dass, wenn die guten Männer unter der Erde liegen, das weltweite Netz wieder angeschaltet wird. Noch warte ich!
Schön Mal wieder was von Dir zu lesen.
Ich hoffe Du bist in diesen – aussergewöhnlichen Zeiten – irgendwo auf der Welt gut versorgt unter gekommen.