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6. Banlung – Last Flowers To The Hospital

 

Nach dem sich die Familie anfing über das Brautgeld Gedanken zu machen und die Maschen immer enger wurden, habe ich letztlich in alter Manier die Beine in die Hand genommen und bin erstmal in Kambodschas wilden Nord-Osten geflüchtet! Nach Banlung, Hauptstadt der Provinz Ratanakiri. Ein knapp 25.000 Einwohner zählendes Nest im windigen Nirgendwo, mit staubigen Pisten und streunenden Hunden, die einen von allen Ecken aus ankläfften. Banlung erinnerte von der Atmosphäre ein wenig an eine Westernstadt.

In Banlung erhoffte ich mir etwas Ruhe. Es gab zu reflektieren und zu überdenken! Die Mitgift ist in Kambodscha übrigens ein nicht unübliches Ritual. Das zahlten nicht nur die Barangs (die westlichen Langnasen), sondern auch die Khmers – die Kambodschaner. Anders als in Indien, wo die Familie der Braut für die Mitgift zuständig ist, zahlte in Kambodscha der Mann. Nicht zuletzt aus dem einfachen Grunde, da die Familie doch einiges an Geld in das Aufwachsen der Tochter investierte. Die Summe orientierte sich dabei in der Regel am Aussehen und an der Klassenzugehörigkeit der zukünftigen Lebenspartnerin, als auch an der Finanzkraft des Ehepartners.

Ich saß in meinem Stammrestaurant, ein typischer Khmerschuppen mit dem seltsam anmutenden Namen „Order food“! In einem Khmerrestaurant ist es üblich, dass man Bierbüchsen, Taschentücher oder auch mal ein Hühnerbeinchen und anderes Überbleibsel einfach unter den Tisch fallen liess, um sich dem zu entledigen.

Vier junge Engländer, auf den ersten Blick Gapyear-Facebook-Pussies betraten gerade das Restaurant und störten meine Ruhe. Was wollten die hier, mit ihren Spassbärtchen und ihren langweiligen ’same same but different‘ T-Shirts? Jetzt bin ich doch schon 4 Tage in Banlung und noch nie hatte sich ein Barang in dieses Restaurant verirrt. Es stand auch nicht in der Travellerbibel Lonely Planet, die alle in die gleichen Cafes schickt. Nun ja, wahrscheinlich hatte man mich von der Strasse aus gesehen und gedacht, wo ein Barang sitzt muss das Essen gut sein. Ich gönnte es ja dem Besitzer des Restaurants, mit dem ich mich in den letzten Tagen ein wenig angefreundet habe und verzichtete ihm zu liebe auf meine Ruhe. Immerhin bereitete er mir ja auch jeden Abend für wenig Geld große Portionen schmackhaftes Khmerfood!

Ich schaute einfach eisern in eine andere Richtung, um jeglichen Kontakt zu vermeiden. Ich wollte keine Geschichten über holprige Stassen, langsame Internetverbindungen oder lange Busfahrten hören, sondern nachdenken. Ausserdem trug einer von ihnen ein Bob Marley T-Shirt, wo ich doch Reaggae nicht ausstehen konnte. Hätte er jetzt ein Radiohead oder ein The Smiths T-Shirt angehabt, hätte ich gesagt, o.k. setz dich zu mir Du altes Greenhorn. Aber mit „no woman no cry“ Bob auf der Brust, ich weiss nicht?! Irgendwann kommt dann auch bei mir der Punkt, wo mich meine unendlich weitreichende Toleranz in die Schranken weist!

Wie sagte mal Noel Gallagher in einem Interview, obwohl Noel ja nicht unbedingt als 100 Watt Birne in die Popkultur eingegangen ist: „Sag mir welche Musik du hörst und ich sag dir wie du tickst“. Da war schon was dran, das hat sich anhand meiner Beobachtungen in den letzten 20 Jahren, mit wenigen Ausnahmen immer wieder bestätigt!

Mono-Linguisten, nannte mal ein Bekannter aus Phnom Penh diese Spezis etwas abfällig. Damit waren englische Muttersprachler, sogenannte native speakers gemeint, die in der Regel nur eine Sprache beherrschten, nämlich Ihre eigene. Schließlich sprach ja die ganze Welt Englisch widerkäuten sie immer wieder! Obwohl stimmt das wirklich, oder hatte das auch mit einer gewissen Form von Ignoranz und Faulheit zu tun?

Ja ja, so etwas gab es auch in der Travellerszene, so ne Art Rassismus unter den Aussteigern. Die einen mochten z.B. die Franzosen nicht, da die angeblich immer so arrogant wären. Muss nicht unbedingt stimmen! Dann gab es da welche, die mochten die Engländer nicht, da die sich angeblich laut und proletarisch in Ihren ManU oder Liverpool T-Shirts gebärdeten.

Engländer waren erstaunlicher Weise, ganz nebenbei bemerkt so meine Beobachtung, oft ziemlich leicht im Aussehen von anderen Westlern zu unterscheiden. Zum einen lag das häufig an der typischen Wayne Rooney Physiognomie, dem sogenannten englischen Durchschnitts Gesicht. Andererseit oftmals am meist fehlenden Kopfhaar. Das muß wohl an dem fettigen englischen Breakfast mit all den ungesunden Sausages und dem Bacon liegen?!

Und dann gab es da noch die Israelis, die mochte leider fast keiner. Sie konnten einem schon fast leid tun! Der Israeli galt in der Szene als besonders schwierig, eigensinnig und unsozial. Er war in der Regel immer in grossen Gruppen unterwegs und setzte gerne auch mal die Gäste eines ganzen Restaurants um, damit Platz war für die Meute. Das ging ungefähr so, einer der Gruppe ging zum Wirt und sagte, entweder du schaffst Platz für uns, oder wir gehen ins nächste Restaurant: „…is lot of money for you, so think about it! Das Israeli liebte es sich zu beschweren, zu nörgeln und zu klagen, alles war zu teuer und grundsätzlich schlecht! Eine Beschwerdekultur per se könnte man sagen, nicht nur auf innen- und außenpolitischer Ebene, sondern tief verankert im sozialen paranoiden Ich! Wahrscheinlich wird man so, wenn man nur von Feinden umringt ist?

Die grösste Attraktion von Banlung war der 700.000 Jahre alte Kratersee, in dem auch Geister hausen sollten. Er war von herrlicher Vegetation umgeben und von faszinierender, prickelnder, kühler und klarer Nassheit. Ich weiss nicht warum, aber aus irgendeinem Grund schwimme ich viel lieber in sauberen Seen, als im Meer. Am Strand hat man immer nach dem Baden das juckende Salz auf der Haut. Ferner dieser ewige Sand, den man spät abends noch unter dem Kopfkissen wiederfindet. Und dann noch diese ganzen langweiligen Beachpeople mit ihrem Gehabe, ihrem Gepose, ihren Frisbees und ihren fettigen Sonnenölen. Strandleben war wie Sylvester, man war quasi verurteilt gut drauf zu sein!

Jeden Tag fuhr ich mit dem Fahrrad zum Boeng Yeak Laom, dem Kraterlake und verbrachte dort einsame Nachmittage. Das war notwendig, nicht zuletzt um meinen von spätrömischer Dekadenz und mittlerweile auch vom Alter gezeichneten Körper, für meine kommende Mission China wieder ein wenig in Form und Schwung zu bringen! Ebend alles wie gehabt. Das ewige Wechselspiel zwischen Hedonismus, Disziplin und Selbstzucht.

Ich wohnte im Chheng Lok Hotel für 7 $, in einem sehr schönen geräumigen Zimmer und konnte die Deutsche Welle empfangen. Seit einiger Zeit zeigten sie auf DW auch Talkshows. Da gibt’s die Maischberger, die Maybrit Illner, und sogar gelegentlich Zimmer Frei mit Götz Alsmann. Leider aber auch den langweiligen Beckmann. Bei dem kann ich mir seine Beliebtheit bis zum heutigen Tage noch nicht erklären. Dann doch lieber Kerner, trotz seiner dummen Werbespots für Geflügelwurst von Gutfried!

So war ich also immer informiert, was in der deutschen Volksseele so vor sich ging und was sie beunruhigte. Guido avancierte gerade zum Prügelknaben der Nation, weil er gegen Arbeitsscheue und Empfängermentalitäten Stimmung machte. Die es aber widerrum laut Sahra Wagenknecht gar nicht gab, weil ja jeder arbeiten möchte. Das läge in der Natur des Menschen, betonte sie?! Wer hatte nun eigentlich recht?

Hierzu möchte ich lieber nicht weiter Stellung beziehen, nur soviel. Ein ehemaliger Mitbewohner von mir, hatte sich nach jahrelangem überzeugtem hartzen (ich glaub das schreibt man klein, ist ja ein Tuwort, ein Tätigkeitswort, also ein Verb?), eine besonders filigrane Gabe angeeignet. Anhand des Aufprallgeräusches einer Postsendung am Briefkastenboden, war er in der Lage, ein herkömmliches Stellenangebot vom Weiterbewilligungsantrag der Stütze zu unterscheiden. Er hätte damit ohne weiteres bei Wetten, dass..? auftreten können.

Ferner ging es in einigen Talkshows immer wieder um sogenannte Kopfpauschalen. Hörte sich an wie ein Wort aus einem Djangofilm! Da ging es um künstliche Hüftgelenke, die man bald nicht mehr finanzieren könnte und um überteuerte Medikamente usw.. Mehr Gerechtigkeit für alle, sollte die Kopfpauschale zum Ziel haben, indem jeder gleichviel bezahlte. Egal ob reich oder arm?! Ich fand ja die Idee der privaten Krankenversicherung schon immer sehr fragwürdig, während die gesetzlichen Kassen die ganzen Hungerleider und chronisch Kranken mit durchschleppen mußte, schnappten sich die Privaten nur die jungen, gesunden, gut situierten und Leistungsfaehigen. Das konnte ja gar nicht gutgehen! Hat sich komischer Weise nie einer richtig drueber beschwert. Und jetzt die Kopfpauschale,…

…ein Begriff übrigens, mit guter Chance auf das Unwort des Jahres 2010! Wetten, dass..?

market in Banlung

market in Banlung

dust

dust

petrolstation

petrolstation

truck

truck

lake 1

lake 2 

tree

tree

shack

shack

boy at psar Banlung

boy at psar Banlung

3 Kommentare

  1. Axel sagt:

    Danke Olivier für die neuen Berichte, mein Freund Peter hat mich gerade darauf hingewiesen. Habe sie gerade mit Genuß gelesen, bitte mehr davon! Schön das Zitat von Noel Gallagher, kannte ich noch gar nicht, aber schwierig wird die Einschätzung wohl, wenn jemand scheinbar unvereinbare Musiken hört. Hast Du wieder Deine Gitarre mit?

    Gruß Axel

  2. Olivier sagt:

    Hallo Axel, viele Dinge darf man natuerlich nicht allzu zu woertlich nehmen! Das ist in meinem Blog wie mit der Bibel…
    Gitarre hab ich mir in Peking zugelegt und schleppe sie mit mir rum.

    Gruss Olivier

  3. Emil sagt:

    Grüß Dich Großer
    Schön, dass du wieder Meldung machst…und immer milder; haben die Jahre also nicht nur Verwüstung angerichtet.
    Wir hier in der Heimat gehen gerade in die letzte Vorapokalytische Phase. Die Bundestagsdebatten um Milliardenbürgschaften für uns, andere, uns und uns werden mit einer hysterischen Leidenschaft geführt, dass man Weimarsche Anklänge durchhört. Ist nicht zu beneiden unsere Oberlöwin.
    Und du hattest schon einige Münzen fürs Brautgeld im Nachttischchen zurechtgelegt…? Vielleicht ja nicht das Schlechteste…
    Bis denne, Emil

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