Aus Liebesfilmen hab ich mir nie viel gemacht. ‚Der Liebhaber‘, eine französische Produktion aus dem Jahre 1991, bildet eine der wenigen Ausnahmen. Regie führte in der Romanze, die sich in den 1930er Jahren in Vietnam ereignete, Jean-Jaques Annaut, welcher für die Schlussszene des letztlich doch recht aufwendig produzierten Film, sogar einen alten Dampfer aus Zypern kommen ließ. Als Vorlage diente der gleichnamige autobiografische Roman von Marguerite Duras. Duras, die ihre Kinds- und Jugendjahre in der damals französischen Kolonie Vietnam verbrachte, schrieb ihren bekanntesten Roman erst mit über 70 Jahren, als sie durch Zufall auf alte Schulhefte und Familienfotos stieß. Es war der leichteste Roman den sie je geschrieben habe, sagte sie später einmal in einem Interview. Das Buch wurde 1984 mit dem Prix Goncourt, dem bekanntesten französischen Literaturpreis ausgezeichnet.
Unser Autor hat vorübergehend seinen Lehrstuhl für englische Literatur freigegeben. Das Semester war vorbei. Und milde ausgedrückt, hatten die kambodschanischen Studenten mit Shakespeare eh nicht viel am Hut! Ein geeigneter Moment zu quittieren, angedacht mit dem Vorhaben für eine Weile Kerouac-esk durch das vietnamesische Hinterland zu streifen. Für das Mekong Delta hat sich unsere Redaktion entschieden, eine Region, die auf unseren bisherigen Vietnamreisen aus irgendwelchen Gründen immer verschmäht wurde.
Nach gut 8 Monaten war es ohnehin daran, eine Auszeit von Kambodscha zu nehmen. Der rege Geist langweilte sich zusehends. Zu viele nichtssagende Charaktere werden schon seit geraumer Zeit, nicht zuletzt wegen der liberalen Visavergabe und anderen Bequemlichkeiten in dieses kleine Land geschwemmt. Wer zu viel Zeit in schlechter Gesellschaft verbringt, läuft schnell Gefahr deren Habitus anzunehmen. Das Gesetz der Determination! Wir denken nicht, wir werden gedacht. Insofern ist es manchmal notwendig die Reisleine zu ziehen, und sich in neues Fahrwasser zu begeben. Sonst wird der Geist träge und mürbe. So zumindest die Beobachtung unseres Autors.
‚L’Amant‘ war einer der ersten westlichen Filme, der in Vietnam nach der Wiedervereinigung 1967 gedreht werden durfte. Unter staatlicher Aufsicht versteht sich, deshalb mußten die zum Teil doch recht ausschweifenden erotischen Szenen in Paris gedreht werden. Als der Film 1992 in die Kinos kam, waren Zuschauer und Kritiker zunächst tief enttäuscht! Was letztlich wohl ganz normal ist, wenn man ständig das Buch vor Augen hat. Aber welches gute Buch, lässt sich schon adäquat verfilmen?! Die Autorin selbst, war über die Inszenierung seinerzeit derart verärgert, dass sie mit dem Regisseur nicht mehr sprechen wollte. Später als sich die Aufruhr etwas legte, heimste ‚The Lover‘ dennoch einige Filmpreise ein, insbesondere was die Kameraführung betraf. In einem Filmforum wird ‚Der Liebhaber‘ (etwas süffisant) als einer „größten kolonialen Mekong Heimatfilme“ aller Zeiten geadelt.
Der Mekong, die wichtige Lebensader Südostasiens, mündet im südlichen Vietnam in einem Netz von Flussarmen, die durch einige Kanäle verbunden sind, in das Südchinesische Meer. Über Ha Tien, an der kambodschanischen Grenze im Südwesten Vietnams, ging es für unseren Autor zunächst nach Can Tho, der Hauptstadt des Mekong Deltas. Dann über unzählige Brücken und Flussarme weiter gen Osten in Orte mit Namen wie Tra Vinh und Vinh Long, um schließlich in Sa Dec anzukommen!
In Sa Dec verbringt Marguerite Duras ihre Jugendjahre, wo sie Huynh Thuy Le, den Liebhaber kennenlernt. Der Film ist schnell erzählt: Nach dem Ende der Schulferien kehrt die damals fünfzehnjährige Französin nach Saigon zurück, wo sie ein Pensionat besucht. Auf der Fähre über den Mekong begegnet sie einem zwölf Jahre älteren, gutaussehenden und offensichtlich wohlhabenden Chinesen. Trotz oder vielleicht gerade wegen ihrer Gegensätze fühlen sich die beiden unwiderstehlich zueinander hingezogen und es entwickelt sich eine leidenschaftliche Affäre, die zur Zeit der französischen Kolonialherrschaft in Indochina, völlig inakzeptabel ist.
Sa Dec ist heute eine 100.000 Einwohner zählende quirlige Stadt, bekannt für seine Blumenproduktion. Annaut verfilmte den Liebhaber in Saigon (Ho-Chi-Minh-Stadt) und in Sa Dec. Vorzugsweise an Originalschauplätzen. Die Hauptrolle ist mit der damals 18 jährigen Jane March, als junge Duras, mehr als optimal besetzt.
In Sa Dec stehen heute noch vereinzelt ein paar Kolonialvillen aus der Zeit des Liebhabers. Der Markt und einige alte Pagoden existieren auch noch. Auch das Haus des Liebhabers und die Schule, in der Duras Mutter damals lehrte, sind noch erhalten. Das kommunistische Vietnam ist gegenwärtig, ähnlich wie China, an Denkmal- und Architekturpflege nur wenig interessiert. Alte Bauten weichen billigem Neuem. Ästhetische Grundsätze finden im praktisch orientierten Vietnam kaum Anwendung. Das schönste an Vietnam, und hier scheint sich tatsächlich ein sozialistisches Moment bis in das Jahr 2012 bewahrt zu haben. Es gibt wenig Autos. Autos zur privaten Nutzung werden in Vietnam mit 200 Prozent besteuert. Im über 90 Millionen Einwohner zählenden Vietnam, fährt man Roller. Ach ja bevor ich es vergesse, für die Romantiker, Huynh Thuy Le der Liebhaber von Sa Dec, hat sich nach der Veröffentlichung des Romans bei Duras nach über 50 Jahren telefonisch gemeldet und ihr gebeichtet, dass er sie bis dato nicht vergessen könne!
Was ist heute noch übrig, von Duras Sa Dec der 1930er Jahre? Unser Autor begibt sich auf fotografische Spurensuche…