Angekommen im geschichtsträchtigen Harar, einer tausendjährigen Stadt im islamischen Osten von Abessinien. Für die Muslime ist sie angeblich nach Mekka, Medina und Jerusalem die viertheiligste Stadt der Welt. Die einst für Ungläubige verbotene Stadt, ist immer noch von der alten Stadtmauer umgeben, die sie vor dem christlichen Einfluss schützte. 6 Tore gebieten Einlass und über 100 Moscheen soll es geben. Ein großer Teil der Bevölkerung stellen die Flüchtlinge, des nicht weit entfernten krisengeschüttelten Somalia.
Wichtigstes Handelsgut ist Chat, eine Pflanze deren Blätter vor allem von den Männern, in der gesamten Region, sprich Jemen, Djibouti, Eritrea und Somalia wie Kaugummi gekaut wird. Chat hat eine stimulierende, weniger eine halluzinogene Wirkung, ähnlich wie Koka, und macht die Leute auch gerne mal etwas verrückt und aggressiv. Die Blätter sehen aus, wie die von einem Benjamin, unserer beliebten Wohnzimmerpflanze – und schmecken auch so!
Der Franzose Arthur Rimbaud, verbrachte Ende des 19. Jahrhunderts, mit einigen Unterbrechungen, die letzten 10 Jahre seines abenteuerlichen, aber wohl auch traurigen Lebens (Einst, wenn ich daran denke, war mein Leben ein Fest) in Harar. Der frühreife Rimbaud, der bereits mit 16 seine erste gefeierte Schrift veröffentlicht, gilt heute als einer der einflussreichsten Dichter des 19. Jahrhunderts. Rimbaud (Ich, bin ein anderer) galt als schwierig und rebellisch.
Ein ruheloser Lebens-Experimentierer; ewig auf Suche nach Ekstase; ohne Rücksicht auf Verluste. In seinen Dichtungen bohrt er in seiner kurzen Schaffensperiode wie von Sinnen nach Visionen und Lebensanleitungen, die ihn irgendwann überwältigen (Das Leben ist die Posse, die alle spielen müssen). Ohne Angaben von Gründen, hört er mit 20 Jahren zum Entsetzen seiner Gefolgschaft auf zu schreiben und zog hinaus in die Welt. So begann die Legende Arthur Rimbaud.
In seinen rastlosen Wanderjahren kämpfte er als Söldner für die Holländer in Indonesien, desertierte, war Baustellenaufseher in Zypern, arbeitet in einem Zirkus irgendwo in Skandinavien, plündert vor Suez gestrandete Schiffe, später wird er Kaffee- und Waffenhändler in Abessinien. 1880 reitet er 3 Wochen lang auf einem Maulesel durch die somalische Wüste ins selbstgewählte Exil – der verbotenen Stadt Harar. Er war nicht besonders beliebt und gilt noch heute, gut 120 Jahre nach seinem Ableben unter vielen Hararis‘ als Spion.
So erzählte es mir zumindest der Leiter des kleinen Rimbaud Museums, das versteckt in einer der unzähligen Gassen der Altstadt, nicht weit vom Fleischmarkt steht. Rimbaud hat das Leben nicht ausgehalten. Nicht einmal, wenn es schön war. Auch in Harar kann er sein brennendes Herz nicht besänftigen. 1891 stirbt Rimbaud an Krebs in Marsaille, obwohl erst 37, physisch und geistig jedoch weitaus älter – als Jemand der sich überlebt hatte!
Die Altstadt von Harar hat ihren Reiz nicht verloren. Eng, riechend, schief, dunkel. Die Frauen backen Injera – Brot und Grundnahrungsmittel – säuerliche und flache, unappetitlich aussehende Lappen – über dem Feuer. Der Hyänenmann von Harar ruft allabendlich nach Einbruch der Dunkelheit die gierigen Aasfresser beim Namen, um sie mit Fleischabfällen zu füttern. Durchaus große, kräftige und respekteinflößende Kreaturen! Leprakrüppel kauern in den engen Gassen, es gibt sogar ein eigenes Dorf vor einem der Stadttore.
Streunende Hunderudel bekläffen sich Nacht für Nacht, pausenlos, bis hin zum Morgengrauen. Jede Nacht das gleiche Konzert! Wie viele Jahrhunderte zuvor schwirren die Fliegen um das Fleisch der Metzger, fressen die Ziegen den Dreck der Straße, urinieren die Esel aufs Pflaster. Die unzähligen Bettler stöhnen tagein ihr Schicksal. Gibt es eigentlich noch schlimmeres, als von acht aggressiven, hungrigen und zerlumpten Bettlerkindern umringt zu sein, die nicht von einem lassen wollen?
Chat an jeder Ecke, Heilsmittel, um es auszuhalten – oder doch nur Gewohnheit? Überall liegen sie herum, die gedröhnten Körper, als wären sie von einem Maschinengewehr niedergemäht worden. Schön aber der Blick auf die Oromo Frauen, die von den umliegenden Dörfern zum Markt kommen. Auf dem Rücken der Nachwuchs, um Arme und Hals der klimpernde Schmuck.
Übrigens – auch wenn ich gerne jede Erfahrung, jedes Experiment mitnehme. Den Chatrausch habe ich mir nach langem Überlegen und gründlicher Investigation letztlich erspart. Nicht das es mich nicht interessiert hätte?! Aber eine halbe Plastiktüte eklig schmeckender Blätter kauen; diese fein mit den Zähnen zu einem Brei zermalmen um dann runterzuschlucken. Das hatte mich doch zu sehr an einen Koala Bär erinnert.
„…Ein ruheloser Lebens-Experimentierer; ewig auf Suche nach Ekstase…“….na wenn man sich da nicht in den Spiegel ansehen muss…den Namen Rimbaud hat man ja schon mal gehört, aber dass er dort unten ins Himmelreich eingegangen ist…dafür lese ich dann doch zu viele Sachbücher….bin gerade in der heißen Phase der Mag.arbeit…Arbeit erstmal ad acta gelegt…hier wird auch gerade wieder eine Legende auserkoren…Frl.Weinhaus ist wie die anderen schwierigen MusikerInnen mit 27 jahren von uns gegangen…das soll ja auch so ein typisches Schizophrenie-Einstiegsalter sein…nur die harten kommen durch…tolle Bilder hast du da gemacht…vieles wirkt ja noch mittelalterlich…man hört deine innere Ruhe durch…der Ort ist dir bestimmt gut bekommen, ei was…weiter so…but don’t forget: Weihnachten in PP…salam dari Dschörmänie
Moin Olli
Schöne persönliche Eindrücke. Nun wird es literarisch richtig interessant.
Da wir aber alle Schweinepriester mit unterschiedlichem Perspektiveansatz sind, will ich versuchen, eine deiner gestellten Fragen zu beantworten.
Ob es etwas schlimmeres geben kann, als als solventer Reisender von hungrigen und zerlumpten Kindern aggressiv umringt zu sein…nein, da scheinst du wirklich dem Superlativ in Reinform begegnet zu sein.
Nicht schimpfen….ich würde doch sowas nicht schreiben, wenn ich nicht die Hoffnung hätte, deine friedlichen Herzregionen hätten eines Tages Aussicht auf ein beständiges Minimum.
Reise, reise
Dear Olivier, good page about Harar!
I would like very much to publish your picture „Überreste des Fallana Tores. Durch dieses ist Rimbaud nach Harar gelangt. Das ist verbürgt!“ in a guide to Harar I’m working to, as an example of bad practice of reconstruction of monuments under UNESCO protection. If ok for you, would you be so kind to send me a high res picture and tell me when you took it and what do you want me to write in the credits? hege thanks, gp