Schon eigenartig?! Da kommt man über kleinere Hürden und den üblichen Ungereimtheiten, dann doch so ziemlich genau nach zwei Monaten, wie einst noch in der trauten Heimat geplant, über endlos staubige und holperige Pisten, tatsächlich im ehemaligen Abessinien – dem orthodox christlichen Äthiopien an. Nach fünf muslimischen Ländern in Folge, angefangen mit der Türkei bis hin zum Sudan, ist dieses Abessinien schon eine ganz andere Welt. Plötzlich sind sie weg, die Kopftücher und Verschleierungen. Das wachsame Auge Allahs ist verschwunden!
Der erste Eindruck soll ja oft ein anderer, manchmal sogar ein unverfälschterer sein, als der darauffolgende: Äthiopien ist das einzige Land in Afrika, dass nie wirklich zur Kolonie wurde. Italien hatte sich unter Mussolini mal kurz versucht, ist aber nichts Richtiges draus geworden. Die Idee war ein zusammenhängendes Länderkonglomerat am Horn von Afrika, mit Zugang zum roten Meer. Bereits nach 6 Jahren strich Bela Italia die Segel. Mit Eritrea und Somalia hatte man damals wohl genug zu tun! Aber vielleicht ist das ja mit Grund, weshalb sich vor allem der ländliche Äthiopier, auch heute noch so wild und unverfälscht gebärdet. Gerne hebt er mal einen Stein, um Eindringlinge zu verjagen. Immerhin durfte ich diesem Ur-Instinkt, vier Mal binnen weniger Tage Zeuge werden. Sobald ein Faranji (Bleichgesicht) auftaucht, wo er noch nicht gewöhnt ist, zieht er neugierige und böse Blicke auf sich. Das kann bereits auf dem örtlichen Busbahnhof passieren. Fahrradfahrer bloggen in Overland Internet Radler Foren empört über die Steinewerfer vom Horn. Einen Schweizer soll es vor einigen Jahren sogar erwischt haben. Auch die Allrad Kollegen mit ihren teuren Jeeps, die gerne abends am Lagerfeuer auf Daktari machen und sich Land Rover Geschichten erzählen, beklagen sich über in Mitleidenschaft geratene Fensterscheiben und andere Blessuren am Fahrzeug. Ich hab mir gedacht, dass ich insofern erst mal den zivilisierteren städtischen Asphalt vorziehen werde!
Der Äthiopier trinkt gerne Bier und geht gerne fremd. Raucht aber nicht! Das ist schon interessant, gerade wenn man aus Ägypten oder dem Sudan kommt, wo eigentlich fast alle Männer ständig, überall und bei jeder Gelegenheit rauchen! Neulich in diesem Biergarten in Gonder, im Nordwesten des Landes, ca. 6 h mit dem Minibus von der sudanesischen Grenze entfernt, saßen rund 100 Männer und palaverten ausgelassen über o,5 Liter Gläser untergärigem Bier – nur keiner rauchte. Eine ganze Gesellschaft die nicht rauchte, dass fand ich schon außerordentlich. Rauchen gilt in Abessinien als uncool und schwach, gab mir eine zuverlässige Quelle zu wissen. Nur wer sich nicht unter Kontrolle hat – raucht. Das wäre doch mal ein Werbeslogan für eine westliche Antiraucher Kampagne, dachte ich mir. In Äthiopien ticken die Uhren übrigens 6 h später als bei uns. Das hat nichts mit Zeitverschiebung oder Breitengraden zu tun, sondern die Äthiopier haben für sich festgelegt, dass bei Sonnenaufgang bereits 12 Uhr mittags ist. Vielleicht kann man deswegen auch in Äthiopien schon um 9 Uhr morgens europäischer Zeit ein Bier trinken? Ist ja dann immerhin schon 15 Uhr! Man trinkt auffällig gerne Kaffee, der soll ja ursprünglich aus Äthiopien kommen. Vor allem Cappuccino und Macchiato aus großen aufschäumenden und wohlriechenden Apparaten – war das nicht etwas Italienisches – die Tasse für umgerechnet 15 Cents. Der Humpen Untergäriges im Biergarten geht für 25 Cents! Die große Pizza Margarita gibt’s für 1,20 €. Da freut sich jedes Portmonee. Naja, vielleicht nicht so sehr das äthiopische. Äthiopien ist ein sehr armes Land. Der Durchschnittslohn kann nicht beziffert werden, da es diesen nicht gibt. Private Verkehrsmittel sind selten und werden angeblich mit 200 % besteuert. Nur 15 Millionen der ca. 95 Millionen umfassenden Bevölkerung sind Städter. Davon leben 6 Millionen alleine in Addis Abeba, der viertgrößten Stadt Afrikas.
Erster Eindruck. Alles Neu und Gut! Die Toiletten können sich ohne weiteres mit denen in Indien messen. Essen so lala. Injera ist Hauptbestandteil jeder Mahlzeit. Ein recht aufwendig, über einen Zeitraum von 3 Tagen hergestelltes Sauerteigbrot, mit penetrantem Geruch, das aussieht wie ein gebügelter Pansen. Sehr gewöhnungsbedürftig. Aber tolles Klima hier in Abessinien. Äthiopien befindet sich auf einem Hochplateau. Grün und bergig, alles auf durchschnittlich 2000 Meter Höhe. Nur schwer vorzustellen, dass in diesem Land in den 70 Jahren einer der weltgrößten Hungerkatastrophen herrschte. Das fruchtbare Land mit den Kühen auf den Wiesen erinnert eher an die Schweiz und so gar nicht so an unser Bild von Afrika.
Wären da bloß nicht die aufdringlichsten und hartnäckigsten Touts (Schlepper), die ich je auf meinen Reisen erlebt habe. Wenn der äthiopische Tout, sich für seine ungewollten, aufdringlichen Dienste schlecht behandelt fühlt, kann seine vorgetäuschte Freundlichkeit schnell in böse Beschimpfungen umschlagen: „Why did you talk to me, now you pay me money“! You money, you money! Gleich bei unserer Ankunft, hatte uns einer ausgeguckt. Sofort in Beschlag nehmen lautet das Motto, dem Opfer keine Zeit für eigene Investigationen lassen. Man ist jetzt Eigentum, die Konkurrenz hat sich fernzuhalten, so lauten die informellen äthiopischen Statuten. Und selbst wenn man nicht mit seinem neuen, ungeliebten Freund spricht. Ihn quasi bis auf das letzte ignoriert, bleibt er in sicherer Nähe, damit kein Geschäft durch seine Lappen geht. Er ist omnipräsent und verfolgt, wartet geduldig vor dem Hoteleingang. Ja er kommt sogar mit in die Bar und bezahlt, wenn auch etwas widerwillig sein eigenes Bier. Das Opfer wird kein Zentimeter von der Leine gelassen.
Als wir dann gegen Ende unserer ersten Nacht, unserem Stalker mit dem biblischen Namen Salomon, noch mal in Ruhe erklärten, das wir wirklich keinen Bock mehr auf ihn hätten, und wir jetzt doch bitte alleine sein wollten – erwiderte er: Kein Problem, er wüsste da etwas passendes, er will es uns zeigen…