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2. Phnom Penh – mal gut das es immerhin noch Sahra gibt…

Regenzeit. Die Temperatur steigt am Tage kaum noch über dreiunddreißig Grad. Dafür ist es luftfeuchter. Ich habe mir ein Apartment genommen, in der 172ten Straße, unweit des Königspalastes. Der Morgenlärm dringt von der Straße durch die offene Balkontür. Die Mopeds werden immer lauter. Fast schon so laut wie die in Indonesien. Aufmerksamkeit erzeugen um jeden Preis. Von meinem Bett aus kann ich die obersten Bauteile der goldenen Dächer des königlichen Anwesen, hinter den ganzen Kränen und Baugerüsten gerade noch so sehen. Nicht mehr lange. Phnom Penh wird täglich höher. Der Nescafé neben mir ist noch zu heiß, um ihn zu trinken.

Ich absolviere gerade meinen allmorgendlichen Pressespiegel. Online versteht sich. In gewohnter Manier ging ich sie alle durch. Von der taz über die Zeit bis zur Welt. Was will man uns heute sagen und wie unterscheidet sich die Berichterstattung? Sich heutzutage nur auf eine Zeitung zu verlassen, reicht nicht mehr. Zuviel Netiquette. Die Medienwelt ist grausam geworden. Spiegel online und taz machen es einem derzeit besonders schwer. Manchmal beschleicht mich sogar das böse Gefühl, der eine oder andere Text sei computergeneriert. Viele Artikel halte ich gar nicht bis zum Ende durch und klicke schon nach der Schlagzeile auf die Leserkommentare. Die sind meist ehrlicher und ideologiefreier. 

Portugal ist gestern ziemlich unverdient Europameister geworden. Aber so ist das manchmal im Fußball. Nicht immer gewinnt der Bessere. Ronaldo hat mal wieder geheult. Aber warum sollen Männer nicht weinen dürfen? War, glaube ich, auch mal eine dieser unsäglichen Mediendebatten. Ist aber schon ne Weile her. Ein alter Freund von mir sagte immer: “Fußball ist wie das wahre Leben“. Alles zeichnet sich dort in irgendeiner Form ab. Kapitalismus, Zufall, Doppelmoral, Hass, Fehlentscheidungen, Sieg oder Niederlage.

In der Rigaer Straße in Berlin werden seit Tagen Flaschen geworfen. Autos brennen. Vor allem die der Menschen, die in der Regel die höheren Steuersätze berappen müssen. Ein altes jüdisches Haus wurde besetzt. Letzte Bastion gegen Gentrifizierung und Kapitalismus, sagen die “politischen Aktivisten“. Schutzsuchende sollen dort untergebracht werden, sagen die “Investoren“. Um was geht es eigentlich wirklich? Oder will man nur ein wenig mit dem “Rechtsstaat“ spielen – seine Schwächen sichtbar machen?

Bei solch speziellen Themen tut sich die deutsche Presse immer besonders schwer. Pressekodex, Parteizugehörigkeit, Blattlinie, Politische Korrektheit und das ganze drumherum. Das System gelangt langsam an seine Grenzen. Immer mehr Begriffe sind negativ behaftet, werden als diskriminierend eingestuft oder schöngefärbt: “Bei brisanten Themen weiß ich heute gar nicht mehr, wie ich es formulieren soll“, monierte ein Journalist in einem Interview, das ich neulich irgendwo gelesen habe. Schwierig, da den richtigen Ton zu treffen.

Von Sachlichkeit und Objektivität haben sich die deutschen Medien schon seit Längerem verabschiedet. Die Printmedien haben sich den öffentlich-rechtlichen Sendern angepasst. Der ganz große Bruch kam aus meiner Sicht 2011 mit der Energiewende und steigerte sich mit der Schuldenkrise in Griechenland ins Unermessliche. Empörung und Mitleid erzeugen stehen seitdem ganz oben auf der Agenda der Medienmacher. Kritik nur bei ausgewählten Themen, die mit den politischen Zielvorgaben einhergehen. Dann darf es gerne auch etwas mehr sein. Der “Brexit“ bot sich da als gute Gelegenheit. Da konnte man sich als deutscher Journalist mal wieder so richtig austoben. Frust ablassen, ohne sich auf gefährliches Glatteis zu begeben.

Aber wie soll man sich heutzutage als moderner Journalist in einer politisch “alternativlos“ definierten Zeit adäquat verhalten? Dagegen sein ist nicht ganz ungefährlich. Schnell kann man da zu einem Verschwörungstheoretiker generieren – gar aussortiert werden. Konsens und Zustimmung im Interesse der Eliten zu erzeugen ist heute allererste Aufgabe der Schreiberlinge. “Manufacturing consent“ nannte das Noam Chomsky in seiner Ende der 80er Jahre erschienenen Medientheorie. Chomsky beschreibt hier im Wesentlichen den manipulativen Einfluss wirtschaftlicher und politischer Interessengruppen auf die Berichterstattung der Massenmedien in echten Demokratien. Da ist schon was dran. Insbesondere, wenn man mal googelt, welche Zeitungen heute im Besitz welcher Parteien sind. Es ist nicht einfacher geworden in den Schreibstuben der Meinungsmacher. Immer mehr Fingerspitzengefühl ist angesagt, um den Bürger mitzunehmen. Wie formulierte es unser Bundespräsident neulich, wohl ungewollt und etwas tollpatschig: “Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem“. Da haben es die Kollegen von der Musik- oder Sportredaktion schon um einiges leichter.

Was ist bloß aus dem guten alten “Links“ geworden. In einer sogenannten Qualitätsjournalie habe ich vor einigen Wochen gelesen: “Ein Journalist muss immer versuchen linker zu sein, als sein Leser“. Das sei sein politischer Auftrag! Ein Satz, der das Mediendilemma ganz gut beschreibt. “Links“ ist heute nicht mehr nur wohlwollendes Gedankengebäude, sondern auch so was wie ein Wettbewerb. Progressivität, moderner sein, den anderen nochmal übertrumpfen. “Ich bin linker als du, also bist du mehr böse als ich“ oder “Hey, wie bist du denn drauf, bist wohl von vorvorgestern“! Geforderte Toleranz, nur solange sie dienlich ist. Dieser Wettbewerb lässt sich auch sehr gut in den wöchentlichen Talkshows der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender ablesen. Ganz besonders tut sich da seit einiger Zeit, neben alteingesessenen Moralaposteln und Berufsempörern wie Beck, Stegner und Roth, ein gewisser Markus Lanz hervor. Was für eine unsägliche, aalglatte Medienmarionette.

Das gute alte “Links“ ist zu einer fragwürdigen Haltung generiert, gekennzeichnet durch Doppelmoral, Opportunismus und Pragmatismus. Vielleicht sogar etwas Verlogenheit? Stringenz zumindest erkenne ich schon lange nicht mehr. Nicht zuletzt hat man wohl deswegen in den 80er Jahren vorsichtshalber schon mal das Wort “Liberal“ dahintergesetzt. Das heißt, die Haltung neu definiert, quasi modernisiert. Natürlich ist der Begriff an sich schon älter, aber er passte gut in die neue Zeit. War auch ehrlicher. Ein geschickter Schachzug der Sozialingenieure. Dadurch waren einem nicht mehr so die Hände gebunden. Man hatte mehr Spielraum. Das gute alte “Links“ erlangte mehr Freiheit, hatte leider aber auch an Schlüssigkeit eingebüßt. Mit dem “liberaleren Links“ konnte man nun kritiklos alle Vorteile, des einst so bösen Kapitalismus in Anspruch nehmen. “Konsumkritik“ ade! Was soll’s. Letztlich widersprach sie eh dem menschlichen Naturell.

Das gute alte “Links“ hatte damit ein grundlegendes Element seiner einstigen Haltung verloren. Man suchte nach einer Lösung, um sein Gewissen zu beruhigen. Man etablierte so was wie modernen Ablasshandel. Auch wenn wir dafür heute andere Begriffe benutzen. Man versteht alles, solange es zur Gesinnung passt. Man fordert viel und gerne und bittet gebetsmühlenartig um mehr Toleranz und Nachsicht. Wir müssen helfen, dass ist unsere verdammte Pflicht. Aber wenn es geht bitte nicht vor der eigenen Haustür, und am allerbesten, wenn andere dafür bezahlen und es aushalten müssen. Im Zuge einer immer transparenter werdenden Doppelmoral, etablierte sich dann wohl auch das Unwort “Gutmensch“. Zumindest ist es mir davor nie zu Ohren gekommen. Ja ja, es war manchmal schon verdammt schwer ein guter Mensch zu sein?!

Ich muss grade etwas schmunzeln und an einen Leserkommentar zu Augsteins Spiegel-Kolumne “Im Zweifel Links“ denken. Da heißt es an einer Stelle ungefähr so: “Der Jakob fährt bestimmt mit seinem weißen Porsche Cayenne die Kinder zur Privatschule und stellt danach beim Edel-Bioladen das Gefährt auf den Behindertenparkplatz“. Das wird sicherlich so nicht ganz stimmen, bringt das Dilemma aber ironisch auf den Punkt. Der ewig empörende Fingerzeig und das Kollidieren mit den eigenen Vorgaben. Aber was soll’s, wir sind eben alle nur Menschen. Deutschlands bekannteste Frauenrechtlerin, die ich eigentlich immer noch ein bisschen schätze, da sie sich zumindest manchmal aus dem Käfig der “political correctness“ wagt, ist vor nicht all zu langer Zeit auch über ihren moralischen Zeigefinger gestolpert. Da kann man froh sein, das es immerhin noch Sahra Wagenknecht gibt!

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