Seit einigen Tagen bin ich jetzt in Mauretanien. Gut 4000 Kilometer sind es bis hierher von meinem Ausgangspunkt Malaga auf dem Landweg, sagt mir gerade Google Maps. Mauretanien, der unbekannte, extrem dünn besiedelte, muslimische Wüstenstaat in der Sahara, hat mich schon immer interessiert, auch wenn es hier nur wenig zu sehen gibt. Wie leben die Menschen hier, wie bewegen sie sich, wie verhalten sie sich?
Über die Guergarat-Grenze von Marokko kommend bin ich eingereist, in den Norden des Landes. Seit zwei Wochen ist die Einreise nach Mauretanien nur noch mit dem neuen eVisa möglich. Dieser Umstand bescherte mir eine ungeplante dreitägige Wartezeit in Dakhla, der letzten größeren Stadt im Süden von Marokko. Das eVisa sollte die Einreise vereinfachen und die Wartezeiten verkürzen, hieß es auf der offiziellen mauretanischen Visaseite. Dieses Versprechen sollte für viele Antragsteller nicht Wirklichkeit werden. Scharen von Touristen warteten im staubigen Grenzort Guergarat auf ihre Einreiseerlaubnis. Oft tagelang oder gänzlich erfolglos, trotz mehrerer Online-Anträge, entweder in einem der drei ausgebuchten Hotels, in Zelten oder in ihren Wohnmobilen.
Nach einem bürokratischen Grenzübertritt, an welchem mein Pass an sieben verschiedenen Stellen durch unzählige mauretanische Finger wandert, plus 55 Euro Cash für das Eintrittsticket, geht es mit einem Toyota Minibus nach Nouadhibou in die zweitgrößte Stadt des Landes. Auf den ersten Blick ist Mauretanien vor allem eines: sandig und extrem vermüllt. Die Menge an herumliegenden Müll hat selbst mich zum Staunen gebracht. Das Land ist quasi von Müll jeglicher Art überzogen. Neben Plastik und sonstigem Restmüll auffällig viele Autoreifen und Autowracks. Ich konnte es kaum glauben, fragte mich, während meiner Busfahrten immer wieder, ob ich spinne. Auch der Geruch von Aas und Urin ist keine Seltenheit. Gestern grinste mich bei einem Gang zu meiner Auberge ein plattgefahrener Ziegenkopf an. Das gequälte Ziegengesicht war noch gut erkennbar. Selbst die Zähne und Hörner waren gut sichtbar in einer Mischung aus Sand und Asphalt gepresst, wie ein überfahrener, vertrockneter, fast steriler Igel.
Auffällig ist die Präsenz der Exekutive allerorts. Alle zwanzig Kilometer gab es auf dem Highway Fahrzeugkontrollen, Straßensperren, Stacheldraht. Oft mehrere Absperrungen kurz hintereinander. Neben dem Reisepass und seinem ausgedruckten eVisa muss man als Ausländer bei jeder Kontrolle dem Beamten eine sogenannte Fiche aushändigen. Das ist eine Kopie des Passes, mit Angaben, wohin man möchte im Land und derlei Angaben.
Mauretanien ist eines der Länder mit dem geringsten Tourismus weltweit. Dennoch gibt es seit einigen Jahren, befördert durch selfmade youtube Videos, eine wachsende Anzahl von Iron Ore Train-Hitchhiker.
Während meines gesamten Aufenthaltes in Mauretanien habe ich keinen einzigen Reisenden getroffen, der nicht mit dem Zug fahren wollte. Der Eisenerzzug ist der längste Zug der Welt, sprich einige Kilometer und bis zu 220 Waggons lang. Er fährt jeden Tag von der Minenstadt Zouerat, einem der größten Erzabbaugebiete Afrikas, in gut zwanzig Stunden an die Atlantikküste nach Nouadhibou zum Verladen, um dann wieder leer zurückzufahren. Als Iron Ore-Hitcher gilt es als uncool, im leeren Waggon zu sitzen, sondern es sollte schon der befüllte sein. Es sei bequemer, abenteuerlicher und man habe eine bessere Sicht. Das heißt, man musste erst mal rund 800 Kilometer durchs Land mit dem Bus fahren, um zum Ausgangspunkt des mit Erz befüllten Zuges zu gelangen. Mit Schneebrille, Proviant, Schlafsack etc. musste man dann bei einem Halt in Zouerat oder Choum auf den Zug springen. Die Fahrt ist offiziell umsonst.
Angeblich eine experience once in a lifetime, welches ich mir, letztlich aus Bequemlichkeit, geschenkt habe.
Paolo, ein etwas unsicherer Portugiese in seinen fünfziger Jahren, mit dem ich eine Busfahrt teilte, versprach sich von der Fahrt auf dem Eisenerzzug eine große Veränderung in seinem Leben. Nur deswegen war er nach Mauretanien gekommen, erhoffte sich sogar so etwas Ähnliches wie Erleuchtung von der Fahrt.
Nicht wirklich billig ist es in Mauretanien. Für ein halbwegs vernünftiges Zimmer mit Bad muss man mindestens 40 Euro rechnen. Auch ein einfaches Essen in einem besseren Restaurant kostete schnell mal zehn Euro. Restaurants, die ein Minimum an Standard aufweisen, sind rar gesät, die lokalen Restaurants selbst mir zu spartanisch. Ich aß immer beim Chinesen, im Mercou, gleich um die Ecke von der Auberge Sahara. Treffpunkt von Expats und ausländischen Handwerkern. Aber nicht, weil das Essen so gut war, wie ich schnell feststellte, sondern weil es dort Alkohol gab. Natürlich nur für Nichtmuslime. Die Dose Heineken für sage und schreibe 18 Euro!
Mauretanien war ein restriktives, stark religiös geprägtes Land, das nicht viel Freude und Freiheit versprühte. Dunkel und schmutzig, mit wenig Infrastruktur und vielen Moscheen erinnerte es mich stark an den Sudan. Das streng religiöse System bot seinen Menschen nicht viel Unterhaltung, wollte es wohl politisch auch gar nicht. Die unzähligen Cafés und Teestuben, wie man sie noch aus Marokko kannte, waren wie weggezaubert. Soziale Plätze zum Verweilen waren tabu, nirgends zu finden. Die Mauretanier wirkten auf mich sehr zurückhaltend und schienen nicht wirklich fröhlich. Seltsamerweise sind die Menschen, obwohl sie kaum Ausländer zu Gesicht bekommen, überhaupt nicht neugierig, ja sie beachteten einen kaum. Selbst wenn man den Blickkontakt forcierte, verspürte man kaum Reaktion. Aber irgendwie genoss ich auch diese Zurückhaltung.
Gestern war ich auf dem zweitgrößten Kamelmarkt Afrikas, in der Hauptstadt Nouakchott. Wäre da nicht der eine oder andere alte Mercedes oder Peugeot gestanden, hätte man glatt denken können, man sei irgendwo in den 70er Jahren. Männer in ihren traditionellen blauen Gewändern, Wüstensand und Kamele, wohin das Auge blickte. Ich kam mir fast deplatziert vor, wie ein Eindringling. Ich latschte durch den Sand zwischen den Kamelen umher und die Einheimischen würdigten mich kaum eines Blickes, als ob ich gar nicht da wäre. So was habe ich bisher in dieser Form noch nie erlebt. Nur fotografiert werden wollten sie nicht. Da konnten sie sehr böse werden.
Sehr spannender Einblick, danke! Und weiter gute Reise …