Victory Hill in Sihanoukville, gelegen am Golf von Thailand. Beschreiben wir es kurzum als ein dekadentes Billigaussteigerplätzchen. Der Begriff Endstation – würde aber auch gut passen. Im Grunde genommen nicht mehr als ein paar Häuser und Gassen. Die eine Straße mit billigen Restaurants, die sich preislich gegenseitig unterbieten. Die andere mit Girliebars, die sich Sahara, Tropicana oder The Crazy German Sausage nennen. Fast jede Bar ist zu verkaufen, so fühlt es sich zumindest an. Die Idee vom Aussteigen bis zur Ankunft in der Realität, dauerte in Kambodscha oft nur wenige Monate. Auch das Foggy Notion wird grade umgebaut.
Als ich das letzte Mal hier war – kaum ein paar Monate her – gehörte es noch einem Neuseeländer, der lange Zeit in Südkorea als Englischlehrer arbeitete. Er wirkte nicht besonders zufrieden und hatte eigentlich nie Gäste. Nur ich saß manchmal bei ihm, während er mir seine Lieblingssongs auf Youtube vorspielte. Er hatte seinen Aussteigertraum nach dem gleichnamigen Velvet Underground Song benannt.
Es war Mitte März, die Saison ging ihrem Ende zu. Es wurde jeden Tag heißer. Die Gäste weniger. Nur die, die kein wirkliches Zuhause hatten waren noch hier. Auf dem Victory Hill gab es keine Benimmregeln. Da konnte man morgens zum Frühstück auch mal ein Bier vom Fass trinken, oder den in die Jahre gekommenen Oberkörper zu Schau stellen. Das störte hier niemanden, war eher normal. Die Einheimischen hatten sich daran gewöhnt und fragten nach dem vierten Bier um zehn Uhr morgens immer noch freundlich: “One more beer Mr.?“
Neunzig Prozent der Gäste waren Männer. Abends an jedem Tisch ein einsamer Mann vor einem Bierglas. Lichtes Haar, Gehstöcke am Tisch lehnend, Bäuche, verblassende Tattoos, Pattaya T-Shirts und Zigaretten! Abbild der Globalisierung. Zuhause ein Würstchen in Kambodscha ein Fürstchen. Oder doch nicht? Leichtigkeit konnte auch verdammt schwer sein!
An den bunten Hawaiihemden – konnte man in der Regel die in Rente gegangenen US-Amerikaner erkennen. Dann waren da noch die Russen, die stilistisch eigentlich so schlecht sind, dass sie kaum einzuordnen sind. Obwohl es weniger geworden sind, seit der Rubel so im Keller ist.
Seit einiger Zeit gibt es auf dem Hill das Mojo, so ne Art Alternativbar. Dunkle Patina kombiniert mit Klosprüchen. Nett gemacht. Betrieben von dauerbenebelten Franzosen. Vor zwei Tagen versackte ich dort. Tolle Musik. An Rock the Casper von den Clash kann ich mich noch erinnern. Eigentlich eher ein schwaches Stück dieser Band. Ein kahlköpfiger Ausländer tanzte nur in Unterhose bekleidet, über den abgewetzten Boden des Mojos. Und wedelte um Aufmerksamkeit ringend, lauthals lachend mit seinem Gemächt umher. Das amüsierte mich. Zumindest als ich dort war!
Und natürlich gab es auch Deutsche auf dem Berg. Vor allem bei Mr. Heng traf man sich. Wo man bereits für zwei Dollar gut speisen konnte. Auch hier ging es um Rente und Krankheiten, aber auch um die derzeitige Politik in der Heimat. Merkel hatte grade einen Deal mit Erdogan ausgehandelt. Das Thema des heutigen Morgens. Und der hatte es tatsächlich in sich. Um die eigenen Grenzen nicht schließen zu müssen, sollten die Türken die inhumane Aufgabe übernehmen und die Flüchtlinge aufhalten. Man wollte sich selbst die Finger nicht schmutzig machen. Passte nicht zu den Vorstellungen eines modernen Europas? Für jeden illegalen Flüchtling, dem die Flucht über die Ägäis gelänge, sollte im Austausch ein Legaler kommen dürfen. Auf solch eine Idee musste man erst mal kommen. So ne Art Flüchtlingskarussell. War da nicht damals in unserer WG dieser Aufkleber am Kühlschrank: “Kein Mensch ist illegal!“
Keine fünf Minuten mit dem Moped von Mr. Heng und dem Mojos entfernt, hat sich vor einigen Jahren ein reicher Russe niedergelassen. Quasi auf dem höchsten Punkt des Berges, hat er sich unter seinen Gemächern ein Privatmuseum von der Größe einer kleineren Turnhalle errichtet. Für zwei Dollar können Normalsterbliche, so um die 20 top- restaurierte, amerikanische Straßenkreuzer aus den 50er und 60er Jahren bewundern. Die ganze Pracht umgeben – von aufwendigen Aquarien und bunten Korallenfischen. Zwischen den Autos, lebensgroße Pferde aus Kunststoff. Was für ein bizarrer Einfall unter der Sonne Kambodschas. Unweit des Museums sorgte eine privat errichtete russisch-orthodoxe Kirche dafür, dass die Landsmänner nicht auf den falschen Weg gelangten. Denn vor Kurzem gab es hier noch einen Krieg im russischen Mafia-Milieu, der von der kambodschanischen Presse mit Aufmerksamkeit verfolgt wurde. Aber wer bezahlte eigentlich die Gehälter der russischen Priester und Diakone?